Der Film

Und plötzlich hatte ich Kinder; gesunde und muntere. Einfach so.

Mir nahestehenden Menschen ist es anders ergangen.

 

In einer Zeitschrift stolperte ich über das Inserat einer Fruchtbarkeitsklinik. Die Klinik warb für „Social Freezing“. Das Foto suggeriert: Die Frau ist unabhängig, gesund, die Frau geniesst Bildung und hat businessmässig noch viel vor. Das Motto: Ich kriege mein Kind wann ich will. Wann? Ich will?

 

Durch die Erfahrung mit meinen Freundinnen war mir bewusst, dass ungewollte Kinderlosigkeit eine tief einschneidende Tatsache ist, die viel Trauer und Wut mit sich bringt und Auseinandersetzung erfordert. Nach wie vor kann ich nur ahnen wie ohnmächtig einem ein unerfüllter Kinderwunsch macht.

Was also wagte diese Werbung zu behaupten?

Jede Frau kann ein Kind kriegen und auch noch den idealen Zeitpunkt bestimmen?

Und darüber hinaus: Haben sie die Lösung, die wirkliche Selbstbestimmung der Frau entdeckt?

 

Die Werbung machte mich stutzig und so begann meine Reise in die Welt der Reproduktionsmedizin.

 

Ich machte mich auf zu Medizinerinnen um herauszufinden, was an „Social Freezing“, dem Einfrieren und Lagern von Eizellen dran ist. Schnell begriff ich, dass ein Kind nach einer „Social Freezing“ -Behandlung nur mittels künstlicher Befruchtung entstehen kann. Die Medizinerinnen führten mich in die Labors zu den Embryologinnen. Dort habe ich miterlebt wie Eizellen mit Spermien befruchtet werden. Ich fand extrem faszinierend, dass vor meinen Augen vielleicht gerade Menschen gezeugt wurden.

Im Labor war alles klinisch rein, voll mit Apparaturen, Hilfsmitteln. Ein ständiges Rauschen und Dröhnen der Lüftung im Raum. Nichts von Liebe, Körperlichkeit, keine Romantik. Und trotzdem waren da Menschen, die mit Hingabe und voller Konzentration menschliche Keimzellen zusammenbrachten, einen Kinderwunsch erfüllen wollten. Gleichzeitig stellten sich mir ethische Fragen. Wie viel Handanlegen an menschlichen Keimzellen, an Embryonen ist in Ordnung? Wo werden Grenzen – deine, meine, unsere – überschritten?

 

Aus diesen Erlebnissen konkretisierte sich die Idee für „Kinder machen“.

Ich wollte einen Film machen aus der Perspektive derjenigen, die versuchen, den Kinderwunsch zu erfüllen. Was treibt sie um? Ich wollte die Labortüren für alle öffnen, die Arbeitsschritte einer künstlichen Befruchtung erlebbar machen. Ebenso wichtig wurde der Aspekt der Wissenschaft und Forschung. Der Drang von uns Menschen nach neuen Erkenntnissen lässt uns immer wieder Grenzen überschreiten. Wo werden sie im heiklen Bereich der Reproduktionsmedizin gezogen? Wer schützt sie?

 

Es ist meine Absicht, mit „Kinder machen“ die Komplexität der Reproduktionsmedizin erfahrbar zu machen. „Kinder machen“ soll eine Diskussion auslösen über unseren heutigen Umgang mit der Reproduktionsmedizin.

 

Barbara Burger


Filmszenen

Hintergrund

In früheren Jahrhunderten war ein Arzt den Erzählungen seiner Patientinnen über die empfundenen Veränderungen ihres Körpers ausgeliefert. Die Frau war es, die fühlte und wusste, wie es um ihren Körper und die darin heranwachsende Frucht stand. Ein Leben wuchs im Verborgenen heran; im unzugänglichen Mutterleib. Es gab die Frau und ihr Ungeborenes. Sie war guter Hoffnung, hiess es. In anderen Umständen.

 

Interessanterweise haben die Naturwissenschaftler bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts beim Sezieren von Ungeborenen die wahre Gestalt der Embryonen nicht sehen können und wollen. Denn in ihrer Vorstellung war ein anderes Bild eines frühen Embryos vorhanden, eines, das der Wirklichkeit nicht entsprach. Alle Abbildungen, die sie aus bisherigen anatomischen Werken (ab 1300 bis Mitte des 17. Jahrhunderts) kannten, zeigten die Ungeborenen als eine kindliche Gestalt mit grossem Kopf. So sahen die Augen der Forscher, auch als sie bereits mit Mikroskop ausgerüstet waren, in den sezierten Leibesfrüchten immer winzige Menschlein.

 

Erst dem deutschen Anatomen Samuel Thomas Soemmering gelang es 1799, mithilfe seiner Sammlung von Ungeborenen in vielen Entwicklungsstadien und nachdem er vortreffliche Zeichner und Kupferstecher gefunden hatte, mit den «Icones embryonum humanorum», das anatomische Wissen des 18. Jahrhunderts über die Heranbildung des Ungeborenen bildlich zusammenzufassen. Sein Werk, das die Veränderung der äusseren Form des Ungeborenen wunderschön zeigt, stellt einen Wendepunkt in der Wahrnehmung von Ungeborenen dar und war Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Untersuchung der inneren Form von Embryonen.

 

218 Jahre später gibt es das Ungeborene als verborgenes, unzugängliches Wesen nicht mehr. Heute sind wir medizinisch, technisch und wissenschaftlich auf einem anderen Wissensstand.

1960 kamen die ersten chemischen Verhütungsmittel für die Frau auf den Markt. Mit der Antibabypille konnte die Frau selber entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft in Betracht ziehen möchte oder nicht. Auch heute ist bei einem frauenärztlichen Untersuchungsgespräch die Verhütung, beziehungsweise Familienplanung, jeweils ein Thema. Der Frau ist es also möglich, in Eigenregie mit verschiedenen Mitteln eine Schwangerschaft zu verhüten. Was aber, wenn eine Frau schwanger werden möchte aber nicht werden kann? In der Geschichte der Reproduktionsmedizin können folgende Meilensteine genannt werden:

  • 1978 kam Louise Brown, das erste durch künstliche Befruchtung gezeugte Kind, per Kaiserschnitt zur Welt
  • 1983  erste Schwangerschaft nach Eizellspende
  • 1984  erste Geburt nach Leihmutterschaft
  • 1992 Einführung der ICSI

 Vor ungefähr zehn Jahren dann der bisher letzte Meilenstein, die Vitri kation: Das Schockfrieren und Lagern von Eizellen im flüssigen Stickstoff bei -196°C, mit der Gewissheit, dass die Eizellen auch nach dem Auftauprozess intakt sind.

 

Wie oft in der Wissenschaft war die Entdeckung von «Social Freezing» ein Zufall: Eine Gesetzesänderung in Italien hat Mediziner dazu gezwungen, den Einfrier- und Auftauprozess von weiblichen Eizellen weiterzuentwickeln. Ihre Forschung führte sie zur «Vitrifikation», dem sogenannten Schockfrieren. Mit dieser Methode bleibt die emp ndliche Oberfläche der Eizellen sowohl beim Einfrieren wie Auftauen meistens intakt. Was bis anhin (mit der «slow freeze»-Methode) eine fragile Angelegenheit war, konnte zu einer Routinesache mutieren. Durch diese Entwicklung wurde «Social Freezing» als Lifestyle möglich.

 

Es folgt das Vitrifizieren von Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung. «free- ze all, transfer later» nennt sich diese Methode. Die Medizinerinnen haben die Erfahrung gemacht, dass sich Embryonen in einer natürlich aufgebauten Gebärmutterschleimhaut häu ger einnisten, als wenn sie im Zyklus der Stimulation zurück in den Mutterleib gegeben werden. Es werden also immer häufiger alle Embryonen zuerst bei -196°C eingefroren und gelagert, bevor sie in einem nächsten, natürlich aufgebauten Zyklus in die Gebärmutter der Frau zurückgegeben werden.

 

Zukunftsvision ist das Einfrieren von jungem Eierstockgewebe, das man zu einem späteren Zeitpunkt im Leben der Frau wieder einpflanzt. Mit dieser Methode, so die Forscher, kann u.a. die Menopause nach hinten verschoben werden. Auch wird an der Transplantation der Gebärmutter geforscht.

 

Die Schweiz und Spanien sind die ersten Länder, deren Durchschnittsalter bei Erstgebärenden bei über 30 Jahren liegt. Im Alter zwischen 20 und 24 Jahren sind Frauen am fruchtbarsten. Ab dem 35. Altersjahr sinkt die Zahl der fruchtbaren Eizellen rapide. Trotzdem sind in der Schweiz zur Zeit ein Viertel aller Gebärenden über 35 Jahre alt. Viele Paare nutzen zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit der IVF.

 

Ungewiss ist, wie viele Frauen nach erfolglosen IVF-Versuchen in der Schweiz von der anonymen Eizellspende im Ausland, wo sie erlaubt ist, Gebrauch machen.

 

Aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten ist es denkbar, dass ein Kind bis zu sechs Eltern haben kann. Vier Mütter und zwei Väter: Eikernspenderin, Eizellplasmaspenderin, Schwangerschafts- und soziale Mutter, genetischer Vater und sozialer Vater.

 

Im Herbst 2017 tritt in der Schweiz das neue Fortpflanzungsmedizingesetz in Kraft, nachdem das Volk zweimal an der Urne war und über die Verfassungsänderung (2015) und das Referendum (2016) abgestimmt hat. Dadurch wird in der Schweiz die PID (Präimplantationsdiagnostik) möglich. Mit dem Verfahren können künstlich gezeugte Embryonen auf vererbbare Krankheiten und chromosomale Störungen untersucht werden. Mit der PID können auch nicht krankheitsrelevante Merkmale bestimmt werden. Vielfach wird sie für die Geschlechterselektion genutzt. Dies ist in der Schweiz verboten. Die Gesetze welche die Anwendungen der PID regulieren variieren von Land zu Land stark.


Phantasie der embryonalen Entwicklung des Präformationisten Theodor Kerckring. Die Figur zeigt, wie in sechs Wochen ein winziges Foetenskelettchen sichtbar wird.

Aus „ Zwischen ‚wahrem Wissen und Prophetie“ von Barbara Duden, in "Geschichte des Ungeborenen" zur Erfahrungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schwangerschaft, 17.-20. Jahrhundert/hrsg. Barbara Duden, Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 2002, S. 38

Samuel Thomas Soemmering, ‚Icones Embryonum Humanorum‘, tabula I, gezeichnet von Christian Koeck, gestochen von Ignaz Sebastian und Josef Xaver Klauber.

Aus "Von der Schönheit der Embryonen" Ulrike Enke, in "Geschichte des Ungeborenen – Zur Erfahrungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schwangerschaft", 17.–20. Jahrhundert/hrsg. Barbara Duden, Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 2002, S. 221


Quellen

  • «Der Frauenleib als öffentlicher Raum – vom Missbrauch des Begriff Leben», Barbara Duden, Mabuse-Verlag, 1992
  • «Geschichte des Ungeborenen: Zur Erfahrungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schwangerschaft», 17. – 20 Jhd./hrsg. Barbara Duden, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2002
  • Artikel «Social freezing»: Sinn oder Unsinn,
  • Michael von Wolff, Schweizerische Ärztezeitung, 2013
  • Das technisch/medikamentöse Wettrüsten, Factsheet von Michael von Wolff
  • Gespräch mit Tomas Sobotka, Institut der exakten Wissenschaften in Wien, Juni 2014

Glossar

EIZELLE

 

Die Eizelle (Oocyte), die weibliche Keimzelle, ist die grösste Zelle im Körper. Sie ist von blossem Auge erkennbar und die einzige Zelle, die rund ist. Bei der Geburt sind alle Eizellen bereits im weiblichen Körper angelegt. Zu Beginn der Pubertät enthalten die Eierstöcke etwa 400’000 Eizellen. Pro Monat schwinden ab dann ungefähr 1000. In der Regel kommt eine davon zur Reifung. Mit 20 – 25 Jahren ist die Frau am fruchtbarsten ihre Eizellen sind vital und nur wenige defekt. Mit zunehmendem Alter der Frau verschlechtert sich die Qualität der Eizellen. Ab dem 35. Lebensjahr sinkt die Fruchtbarkeit der Frau rapide. Die Eizellen weisen häufiger chromosomale Abweichungen auf.

ICSI (INTRAZYTOPLASMATISCHE SPERMIENINJEKTION)

Bei einer ICSI wird eine Samenzelle direkt in die Eizelle gebracht. Diese Methode wird angewendet, wenn die Spermienqualität eingeschränkt ist (Anzahl, Form, Beweglichkeit). Die Methode kommt auch zum Einsatz wenn die Eizellhülle aufgrund des Alters der Frau zäh geworden und ein Eindringen für die Spermien nicht mehr möglich ist oder nach einer «Social Freezing» Behandlung da die Eizellhülle nach dem Einfrieren verhärtet ist. ICSI wird seit 1992 angewendet.

IVF (IN VITRO FERTILISATION)

 

In vitro Fertilisation, bedeutet Befruchtung im Glas, also eine Befruchtung ausserhalb des menschlichen Körpers. Die dem Körper entnommene Eizelle und die Samenzellen werden in einer Schale zusammengebracht. Die vielen tausend Spermien helfen einander die Eizellhülle zu «knacken». Nur ein Spermium kann schlussendlich in die Eizelle eindringen und sie befruchten. Diese Methode wird angewendet wenn z.B. Eileiter nicht durchgängig sind. 1978 wurde das erste Kind (Louise Brown in England) mithilfe der IVF geboren. Der Erfinder der IVF, Robert Edwards, wurde dafür im Jahre 2010 mit dem Nobelpreis gewürdigt.


BLASTOZYTE

Am fünften Tag nach der Befruchtung erreicht der Embryo das Blastozystenstadium. Man erkennt die innere Zellmasse (zukünftiger Embryo) und die Trophektodermzellen, die später die Plazenta formen werden. Der Embryo kann nun nicht mehr ausserhalb des Körpers bleiben. Die Blastozyste wird transferiert, in die Gebärmutter gegeben. Der Grossteil der befruchteten Eizellen entwickelt sich nicht bis zu diesem Stadium. Besonders gut entwickelte, überzählige Blastozysten können eingefroren werden.

Assisted Hatching «Assisted hatching» bedeutet «Unterstütztes Schlüpfen». Damit ein Embryo sich in der Gebärmutterschleimhaut einnisten kann, muss er aus der Eizellhülle schlüpfen. Künstlich gezeugte Embryonen haben oft nicht genug Kraft um aus der Eizellhülle zu schlüpfen. Oder die Eizellhülle ist aufgrund des Alters der Frau oder durch den Einfrierprozess zäh geworden. Deshalb kann die Eizellhülle mit einem Laser auf unterschiedliche Art und Weise behandelt werden, damit der Embryo erleichterte Bedingungen zum Schlüpfen hat.

PID (PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK)

Präimplantationsdiagnostik. Künstlich gezeugten Embryonen werden Zellen entnommen, die im genetischen Labor untersucht werden. Dadurch können Erbkrankheiten, chromosomale Abweichungen (z.B. Trisomie 21), das Geschlecht und weitere Merkmale des Embryos festgestellt werden. Aufgrund der Resultate wird entscheiden, welcher Embryo in die Gebärmutter transferiert wird und welcher nicht. Die Gesetzeslage zur Anwendung und Durchführung der PID variiert von Land zu Land.

EMBRYOTRANSFER

Die künstlich gezeugten Embryonen werden in die Gebärmutter gegeben. Werden mehrere Embryonen zurückgegeben, kann dies zu Mehrlingsschwangerschaften führen.

Baby-Take-Home-Rate Nicht jede befruchtete Eizelle entwickelt sich zu einem Embryo. Pro Eizelle liegt die Chance auf eine Geburt bei 5 – 6%. Es braucht also ungefähr 20 Eizellen für die Geburt eines Kindes. Ist die Spermienqualität eingeschränkt, braucht es mehr. Die Chance auf eine Schwangerschaft liegt nach einem Embryotransfer bei ca. 30%. Die Chance auf eine Geburt (Baby-Take-Home-Rate) liegt bei durchschnittlich 15 – 20%. Laut einer Schätzung wird davon ausgegangen, dass bis heute weltweit ungefähr 5’000’000 Kinder durch künstliche Befruchtung geboren worden sind.


SOCIAL FREEZING

Wenn eine Frau, ohne medizinische Indikation, ihre Eizellen vorsorglich einfrieren lässt nennt man das «Social Freezing». Um genügend Eizellen zu haben, da auch bei dieser Methode keine Schwangerschaft garantiert werden kann, werden ungefähr 20 Eizellen gesammelt. Diese werden nach einer hormonellen Stimulation der Eierstöcke während einer OP entnommen. Die Eizellen, werden nach der Entnahme und Aufbereitung im flüssigen Stickstoff bei -196 °C gelagert. Möchte eine Frau ihre Eizellen verwenden um schwanger zu werden, müssen die Zellen aufgetaut und mittels ICSI befruchtet werden. 2012 wurde von der amerikanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (ASRM) beschlossen, dass «Social Freezing» nicht mehr als experimentelles Verfahren gilt.